04.03.2025 - Zu diesem Szenario kommt es wohl in vielen Amateurvereinen ein paar Mal in der Saison: Ein paar Tage vor dem Wochenende laufen die Handys heiß, weil hektisch noch ein Ersatzmann für die erste Mannschaft gesucht wird. Unser „Phasendrescher“ Philipp Hell beschreibt in seinem Blog, was diese besondere Ehre für einen Kreisliga-Akteur bedeutet, der nun mal Bezirksoberliga-Luft schnuppern darf - und wie solch ein Einsatz typischerweise ablaufen kann.
Tom hat sich so richtig schön eingerichtet in seiner Kreisliga-Karriere: Er spielt ein sehr anständiges Tischtennis, teilweise trifft er sogar einen schönen Vorhand-Topspin. Seit Jahren ist er ein Leistungsträger in der dritten Mannschaft und spielt in der Kreisliga C eigentlich immer eine in etwa ausgeglichene Bilanz gegen die zumeist gleichen Gesichter. Tom schlägt nur selten einen „Großen“, er patzt aber auch praktisch nie gegen irgendwelche limitierten Ersatzspieler. Er fährt nur selten auf Turniere und hat auch bei der Vereinsmeisterschaft schon lange keine Urkunde mehr mit nach Hause nehmen dürfen. Doch Tom mag den sozialen Aspekt seines Tischtennis-Vereins, die Geselligkeit, das Miteinander, das Überschaubare, das Planbare. Kurz: Tom ist zufrieden damit, wie es ist.
Aber einmal im Jahr muss er eben in der „Ersten“ aushelfen. Die spielt in der Bezirksoberliga und steht dort meist souverän im Mittelfeld. Sie ist besetzt mit trainingsfaulen Naturtalenten Mitte 40 und trainingseifrigen Ambitionierten Anfang 20, die alle bestimmt 350 TTR-Punkte mehr haben als Tom. Außerdem besteht sie eigentlich aus fünf Spielern, obwohl immer nur vier gebraucht werden. Aber jede Saison gibt es trotzdem diesen einen Tag im Jahr, an dem plötzlich noch ein Ersatzmann gesucht wird: Eine Terminverlegung war aus unerfindlichen Gründen nicht möglich und die sonst so hilfsbereite zweite Mannschaft hat ein wichtiges Spiel gegen den Abstieg. Also wurde Tom von Mannschaftsführer Helge angefragt, weil man, erstens, ja keine Strafe zahlen will und Helge, zweitens, aus Prinzip nie zu dritt antreten will, schließlich könnte ja auch der Gegner ersatzgeschwächt mit einem schlagbaren Jugendlichen antreten.
Als Kanonenfutter ins Doppel
So kommt es, dass Tom seinen späten Samstagnachmittag statt mit seiner Frau oder der „Sportschau“ eben auf der Bundesstraße nach Unterhausen verbringt. Dort spielt nämlich der örtliche TSV Oberhausen, ein weithin für seine starke Jugendarbeit bekannter Dorfverein, der viel höher spielt, als man es ihm eigentlich zutraut. Weil Helge und der junge Max dieses Jahr ein beinahe unschlagbares Duo bilden, soll Tom natürlich taktisch geschickt als Kanonenfutter im ersten Doppel zusammen mit dem wahnsinnig ehrgeizigen Luca antreten. Der junge Luca wurde schon ein paar Mal für die Landesauswahl nominiert und hat daher natürlich nun mal so überhaupt keinen Bock darauf, sich hier mit irgendsonem Schnulli aus der Dritten an den Tisch zu stellen. Das lässt er dann auch alle merken, insbesondere den Blinden aus der Dritten. Ein Umstand, der Toms heute ohnehin überschaubares Selbstvertrauen auch nicht gerade vergrößert. Drei ebenso kurze wie kurzweilige Sätze später ist das Doppel auch schon verloren und dass Luca wenigstens nach dem Spiel noch mit Tom (drei Aufschlagfehler, zwei Elfmeter verschossen) abklatscht, wundert Tom am allermeisten.
Aber es gibt ja noch das Einzel und dieser eine Spieler des TSV Oberhausen erscheint Tom auf den ersten Blick doch sehr schlagbar. Er holt sich also in seinem ersten Match schnell die erwartete Klatsche ab, um dann in Ruhe das erste Spiel seines zweiten Gegners zählen und dabei dessen Spielsystem analysieren zu können. Tja, die Vorhand ist natürlich schon nicht schlecht. Da muss man ihn vermutlich eher auf der Rückhand halten, eventuell mit langen geraden Aufschlägen – oder mit kurzen mit viel Unterschnitt? Nun, das wird sich dann schon zeigen, auf jeden Fall ist Tom hochmotiviert.
Wenigstens ein guter Ausklang?
Dass das ganze Spiel dank der indiskutablen Leistung seiner drei Mitspieler schon längst verloren ist, als Tom erneut an die Platte tritt, stört ihn eigentlich nicht. Dank dem neuen Spielsystem mit „Durchspielen“ aller Einzel hat er wenigstens noch die Chance, dem Abend eine für ihn etwas fröhlichere Stimmung zu geben. Im ersten Satz legt Tom dann auch direkt los wie die Feuerwehr und führt schnell mit vier Punkten. Allerdings macht er dann in den nächsten zehn Minuten keinen Stich mehr und die vermeintlich schwache Rückhand des Gegners entpuppt sich als ein schier unüberwindbares Hindernis, so viel Schnitt ist da in den Bällen drin. Gibt’s ja gar nicht! Hilfesuchend blickt sich Tom beim 0:2-Satzrückstand um, ob einer seiner so spielintelligenten Mitspieler nicht einen guten Tipp für ihn hätte. Leider hat den keiner, denn sie sind beim Rauchen, beim vorzeitigen Duschen und im angeregten Gespräch mit einem der Gegner. So gibt Tom zwar auch im dritten Satz noch einmal alles, aber sein „alles“ ist in der Bezirksoberliga eben immer noch deutlich „zu wenig“. Sein Gegner scheint sich noch nicht einmal über den Sieg zu freuen.
Für den weiteren Verlauf des Abends gibt es dann zwei Möglichkeiten: Entweder hat Tom jetzt so richtig Durst auf ein kühles Bier und freut sich darauf, zusammen mit dem Gegner noch ein oder zwei Stunden zusammen zu sitzen und ein bisschen über diesen komischen Sport namens Tischtennis zu philosophieren. In diesem Fall ist es leider oft so, dass seine Mitspieler zu Hause noch ganz wichtige Termine haben (Geburtstagsparty der Freundin, Abwesenheit der Ehefrau, kranker Hund) und alle dringend sofort nach Hause müssen. Sein Bier könne Tom ja auch gemütlich zu Hause trinken.
Oder aber seine drei Mitspieler für einen Abend haben schon lange geplant, mal wieder so richtig die Sau rauszulassen. In der hiesigen Vereinskneipe ist heute nämlich „Schnäpse-Abend“ und den hat man sich auch die letzten Jahre sicherlich nicht entgehen lassen. Außerdem kennt der andere Einser die Vroni an der Theke und da geht dann bestimmt noch so Einiges. Da trifft es sich gut, dass Tom heute der Fahrer ist. Und da soll er doch jetzt nicht so sein, von wegen morgen Früh ein wichtiger Termin, Hallenturnier des Sohnes – das kann er den Jungs doch jetzt nicht antun, nur weil es bei ihm heute nicht ganz so lief, oder!? Erste Mannschaft ist schließlich nur einmal im Jahr!
Übrigens: "Phasendrescher" Philipp Hell hat nun schon sein zweites Buch auf den Markt gebracht. Nach "Netzball" geht es in "Schon wieder ein Netzball" weiterhin mit einem Augenzwinkern durch die Kreisliga.
(Philipp Hell)
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