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Phasendrescher: Jugendtrainer mit Philosophie

Als Jugendtrainer trägt manch einer zum ersten Mal Verantwortung (©Laven)

11.07.2022 - Haben auch Sie irgendwann in Ihrer Tischtenniskarriere einmal den Job des Jugendtrainers in Ihrem Verein übernommen? Und fühlten Sie sich dazu berufen oder haben Sie es einfach gemacht, weil irgendjemand es ja tun musste? Unser ‚Phasendrescher‘ Philipp Hell umreißt in der aktuellen Folge seines Blogs, wie es laufen kann, wenn man plötzlich unzähligen Kindern in der Halle gegenübersteht.

Als erster wirklich verantwortungsvoller Job der Tischtennis-Funktionärskarriere winkt nach einigen semi-erfolgreichen Jahren als noch nicht volljähriger Mannschaftsführer oder Medienwart der Posten als Jugendtrainer. Denn konnte man alle vorherigen Ämter noch hauptsächlich an seinem Handy erledigen oder musste maximal dreimal im Jahr irgendwo vor Ort sein, so hat man als Jugendtrainer eben jede Woche in der Halle zu stehen. Also, wirklich jede Woche. Und mitunter auch noch mehrfach.

Irgendwer muss es machen

Wie bei allen Ämtern gilt es auch beim Jugendtrainer zunächst zu sagen: Irgendjemand muss es tun. Doch manche sind natürlich auch eher prädestiniert für den Job als andere – und mancher meldet sich sogar freiwillig. Findet sich nämlich keiner aus dem Kreise der üblichen Verdächtigen (Lehrer, Erzieher, Eltern, pensionierte Sozialpädagogen oder sonstige Menschen mit vermeintlich pädagogischem Hintergrund und/oder jeder Menge überschüssiger Freizeit), so muss es doch einer der jungen Vereinsmitglieder richten. Und so kommt es, dass der immer noch erst 25-jährige Langzeitstudent Luca zwar immer noch nur spärliche Gesichtsbehaarung aufweisen kann, er aber der Einzige war, der sich auf der Abteilungsversammlung für das Belegen des mehrmonatigen Trainerlehrgangs bereit erklärt hat.

Nun steht Luca parallel zu seiner intensiven Trainer-Ausbildung (die natürlich überwiegend online stattfindet und hauptsächlich aus Theorie zu bestehen scheint) mittwochs und freitags zwei Stunden mit unzähligen Kindern und Jugendlichen in der Halle. Bei ersteren kann er sich nicht alle Namen merken, bei letzteren überragt der ein oder andere Luca um ein bis zwei Köpfe und hat auch schon deutlich männlichere Züge im Gesicht. Doch dank seiner sportlichen Erfolgsgeschichte (neuerdings verstärkt Luca die erste Herren-Mannschaft in der Bezirksliga) hat er eine natürliche Autorität bei den Nachwuchsspielern – zumindest beim Balleimertraining. Dass die eingeforderten zehn Runden Joggen zu Beginn des Trainings bei den meisten Teilnehmern eher so fünfeinhalb getrabte Runden sind, muss er so hinnehmen.

Der Erfolg gibt ihm Recht

Es gehört nämlich zu Lucas Trainer-Philosophie, dass er insbesondere diejenigen Jugendlichen fördern will, die das auch wollen und einfordern. Das bedeutet, dass er mit dem sehr trainingsfleißigen Timo, dem äußerst verlässlichen Finn und der durchaus talentierten Mira gerne am Sonntagmorgen zur Jugend-Bezirksmeisterschaft fährt (dank Papas Familien-Van alles kein Problem), dass er den mit einem Ballgefühl vom anderen Stern gesegneten Samuel aber links liegen lässt, weil der eigentlich ohnehin lieber zum Tennis geht. Und zum Fußball.

Irgendwie scheint Luca wirklich einen Stein im Brett zu haben bei den ihm anvertrauten Jugendlichen: Wie durch ein Wunder steigt die Trainingsbeteiligung erstmals seit Jahren wieder stetig an und bei den örtlichen Mini-Meisterschaften gibt es auch wieder mehr als vier Teilnehmer. Ob Luca zu Hause wirklich Trainingspläne am Computer schreibt und er alle Ergebnisse seiner Schützlinge in diversen Excel-Sheets sammelt und statistisch auswertet, ist zwar niemandem im Verein ganz klar. Doch der Erfolg gibt ihm auf jeden Fall recht: Innerhalb kürzester Zeit gelingt der ersten Jugendmannschaft der Aufstieg in die Landesliga, treten insgesamt fünf Jungen- sowie zwei Mädchenmannschaften im Spielbetrieb an und werden auch immer wieder Einzel-Titel bei überregionalen Turnieren errungen. 

Alter Bekannter übernimmt

Erfreulicherweise werden immer wieder neue Hallenzeiten für weitere Trainingseinheiten benötigt, der Leistungssportkader-Verantwortliche des Bundeslandes hat Lucas Handynummer in der Schnellwahlliste eingespeichert und die Abteilung erhält sogar einen hochdotierten Sonderpreis für Jugendsportförderung von irgendeiner bisher unbekannten Stiftung. Der ganze Verein ist euphorisch und blickt einer mindestens goldenen Zukunft entgegen.

Dass Luca drei Jahre später seinen ersten richtigen Job annimmt und dafür hunderte Kilometer wegzieht, versteht sich von selbst. Daraufhin übernimmt dann eben wieder der pensionierte Sozialpädagoge das Jugendtraining. Zwar weniger ambitioniert und engagiert als Luca, aber eben genauso verlässlich und routiniert wie vor zehn und auch vor 25 Jahren, als er ebenfalls schon mehrmals unfreiwillig als Trainer einspringen musste. Und mit den sechs unbegabten Knirpsen, die noch regelmäßig ins Training kommen, wird er auch noch locker fertig.
 

Übrigens: "Phasendrescher" Philipp Hell ist inzwischen auch unter die Buchautoren gegangen. Wer mit einem Augenzwinkern durch die Kreisliga schlendern will, findet hier das passende Werk.

(Philipp Hell)

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